Übergriffe nach Trennung – Gewalt gegen Frauen: Opfer aus Leipzig geht an die Öffentlichkeit

Eine Leipzigerin ist nach der Trennung von ihrem Partner Opfer gewaltsamer Übergriffe geworden. Mit juristischen Mitteln versucht sie, sich zu wehren. Die Rückkehr in den Alltag ist noch fern.

Flankiert von Gründerzeit-Architektur zieht die Tschaikowskistraße eine Linie vom Liviaplatz bis zur Jahnallee. An Hausnummer 14 allerdings hat der hohe Vorzeigefaktor des Viertels einen Aussetzer: Auf den Flächen zerstörter Fenster steht der Hinweis: „Wer das hier sieht, sieht Gewalt gegen Frauen“. Eins von mehreren Signalen, das eine junge Leipzigerin derzeit in die Öffentlichkeit schickt, um über ihr Schicksal hinaus stärker für einen akuten gesellschaftlichen Missstand zu sensibilisieren.

Wenn Desirée Roßbach von dem berichtet, was ihr seit Mitte Februar passiert ist, wirkt sie gefasst und kontrolliert. Doch hinter der Entschlossenheit, sich nicht einschüchtern zu lassen, steckt ein Schock, der noch verarbeitet gehört. „Die Gefühle rücken nach“, so beschreibt es die 30-Jährige.

Eröffnung des Veranstaltungsraums war für April geplant

Im April wollte Roßbach hier ihren Salon de Musique für Veranstaltungen öffnen und das Waldstraßenviertel kulturell beleben, mit Liederabenden, Konzerten, Lesungen und mehr. Seit August hatte die Violinistin, die an der Leipziger Musikhochschule ihren Bachelor machte, in Dresden den Master-Abschluss nachlegte und danach ein Jura-Studium begann, hier geprobt sowie Kindern Musikunterricht gegeben.

In die Vorbereitungszeit der ersten öffentlichen Termine fiel die Trennung von ihrem Freund, nach zwei Jahren Beziehung. Der Hauptgrund: sein Alkoholproblem. Kurz darauf nahm ein Albtraum seinen Lauf, den die junge Frau nie für möglich gehalten hätte. Er begann damit, dass mehrfach hintereinander die Klingel sowie die Visitenkartenbox an der Außenwand des Salons abgerissen wurden. In vielen Nächten wurde zudem bei ihr zu Hause Sturm geklingelt. Dann wurde ihr Internetauftritt zu Teilen gelöscht und verfremdet. „Mein Ex-Freund ist IT-Spezialist, daher konnte er seine Kenntnisse missbräuchlich einsetzen“, sagt Roßbach.

Näherungsverbot erwirkt

Mehrfach tauchte er in der Nähe ihrer Wohnung oder ihres Salons auf. Sie schaffte sich eine Überwachungskamera an und erwirkte eine Gewaltschutzverfügung, laut der ihr früherer Partner ihr in ihrem persönlichen Umfeld nicht näher als 100 Meter kommen und keinen Kontakt zu ihr aufnehmen darf. Bei Verstößen drohen Geldstrafe oder Ordnungshaft – und zu diesen Verstößen ist es gekommen.

An einem Abend Ende Februar schreckte Roßbach im Büro des Salons auf, weil Fäuste gegen das Fenster schlugen; einen Tag später beschädigte ein Steinwurf die Scheibe. Sie benachrichtigte die Polizei. Die Kamera hat auch einen folgenschweren nächtlichen Einbruch knapp eine Woche später festgehalten. Dabei wurden unter anderem Fenster und die Musikanlage zerstört, der Konzertflügel stark beschädigt sowie eine Tür demoliert.

Leipziger Polizei bestätigt Ermittlungen

Auf den Aufnahmen ist Roßbachs Ex-Freund zu sehen, der sich später absichtlich verletzte und vor Ort von Polizeibeamten aufgegriffen wurde. Auf LVZ-Nachfrage bestätigt die Behörde die Ermittlungen gegen eine männliche Person. Laut Roßbach liegen der Polizei, die dazu keine Details nennen darf, die Kamera-Videos ebenso vor wie dem Amtsgericht Leipzig.

Kontakt komplett abbrechen, Polizei einschalten, Rechtsbeistand suchen und eine Gewaltschutzverfügung erwirken – das sind in solchen Fällen auch die Maßnahmen, die die Leipziger Beratungsstelle Opferhilfe Sachsen empfiehlt. „Manchmal kann es dauern, bis das Näherungsverbot beschlossen wurde, und ein Erfolg ist natürlich nicht garantiert“, sagt eine Mitarbeiterin, „aber sobald es gilt, ist ein Verstoß dagegen eine Straftat.“

Knapp 800 Ratsuchende bei Opferhilfe in Leipzig

In vielen Fällen schrecke die Maßnahme Gewaltbereite ab, es komme aber auch vor, dass Betroffene letztlich keine andere Lösung wüssten als den Wohnort zu wechseln. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Opferhilfe allein in Leipzig 790 Menschen, die wegen einer Gewalterfahrung Rat bei dem Verein suchten.

Desirée Roßbach hat gehandelt wie empfohlen – und weitere Vorkehrungen getroffen: Neben der Kamera schaffte sie sich eine Alarmanlage an. Zusätzlich beschloss sie, in die Offensive zu gehen und den Fall publik zu machen. „Ich weiß, dass viele Frauen solche oder ähnliche Angriffe kennen und möchte darauf aufmerksam machen“, sagt sie. „Schweigen und Verdrängen macht die Dinge nicht sichtbar und damit nicht existent. Daran muss sich etwas ändern.“

Vorfälle im Netz dokumentiert

Auch deshalb hat Roßbach das Erlebte auf der Seite https://www.gofundme.com/f/gewalt-gegen-frauen-und-tschaikowski unter dem Stichwort „Gewalt gegen Frauen und Tschaikowski“ dokumentiert. Der andere Grund: Weil sie in den Salon bereits vor den Übergriffen ihr Erspartes investiert hat, benötigt sie für einen Neustart Unterstützung. Den durch die Attacken verursachten Schaden hat die Polizei im mittleren fünfstelligen Bereich angesiedelt.

Seit Wochen bestimmen Kontakte mit Anwälten und Behörden sowie Absprachen wegen Schadensbeseitigung den Alltag der Leipzigerin. Und nachts kommt die Angst zurück. Dann sitzt sie vor der Kamera und hofft, alles möge ruhig bleiben. All das kostet Energie, Zeit, Nerven, Einnahmen. Den Musikunterricht gibt sie derzeit an einem anderen Ort. „Mein bisheriges Leben ist stillgelegt“, sagt sie. „Die innere Ruhe für die Musik und die künstlerische Entfaltung fehlt.“

Verletzt hat Desirée Roßbach auch, dass viele, die den eindeutigen Aushang an der Straße sehen, ihr eher aus dem Weg gehen als sie darauf anzusprechen. „Und von denen, die es tun, gibt es manche, die das Ganze zu bagatellisieren versuchen“, berichtet Roßbach. In solchen Situationen zeigt Desirée Roßbach auf die zerstörten Fenster und erklärt die Auswirkungen in ihr drin. „Nein, das ist keine Bagatelle.“

Nun hofft die 30-Jährige, dass der Frieden zurückkehrt. „Ich wünsche meinem Ex-Freund, dass er bereit ist, sich für seine Probleme Hilfe zu holen.“ Und für ihren Salon in der Tschaikowskistraße, dass er den Zweck erfüllen kann, für den Roßbach ihn gemietet hat: Kultur mit Wohnzimmer-Gemütlichkeit ins Viertel zu bringen.